Viele Kinder in Sachsen wachsen in Familien auf, in denen sich mindestens eine Sorgeperson als lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, nicht-binär, inter* und/oder queer verortet. Regenbogenfamilien sind oft in der ständigen Beweispflicht, eine „echte“ Familie und gute Eltern zu sein
Mit einer Online-Kampagne 2022 wollten wir ihre Erfahrungen und Wünsche sichtbar machen. Sechs Regenbogenfamilien haben teilgenommen und uns aus ihrem Leben erzählt.
Ein großer Dank geht an Julika für die fantastischen Illustrationen der teilnehmenden Familien!
Wir sind eine Familie – und vereinen viele unterschiedliche Lebenserfahrungen. B., inzwischen 4, liebt es, seine Umgebung zu erklettern und findet es großartig, dass seine Mama einen Schoß hat, auf den er jederzeit aufsteigen kann. Und ich bin dankbar und stolz, mit meiner angeborenen Behinderung und dem Privileg, auf meinem Weg viel Unterstützung erfahren zu haben, B.s Wunsch-Solo-Mutter sein zu können.
Es gibt einige wie uns – aber in unserem Alltag sind wir oft die ersten unserer Art. Zum Beispiel wenn wir immer wieder ratloser Überraschung begegnen bei der Nachfrage, ob das Familienkaffee oder der Kinderflohmarkt stufenfrei sind. Wenn wir uns die größte Mühe geben, beim CSD mit dem Tempo mitzuhalten und eine Schlusslinie mit den anderen älteren, humpelnden oder Kinder tragenden Abgehängten bilden. Wenn bei der Spielplatzplanung Familien befragt werden, Behindertenverbände befragt werden, und zum Schluss niemand an die Bedarfe behinderter Eltern gedacht hat.
Aus unserer Erfahrung heraus haben sich fast alle Befürchtungen in Bezug auf unser öffentliches Leben als schwules Paar und Regenbogenfamilie überhaupt nicht erfüllt. Deshalb ist unser Ansatz ein anderer: Hat immer nur das Umfeld, die Gesellschaft, die Politik die Verantwortung dafür, wie uns im alltäglichen Leben begegnet wird? Haben wir es nicht selbst in der Hand, die Reaktionen auf uns zu normalisieren? Ist Normalität nicht eigentlich das, wo nach sich jede Minderheit sehnt? Kann es funktionieren, dass der „Normalbürger“ auf uns normal reagiert, wenn sowohl politisch, als auch medial die Fokussierung auf schrille, bunte und laute Vertreter unserer Community gesetzt wird? Und da setzt nach unserer Meinung die einzige Kritik an. Zur Abbildung vielfältiger Lebensweisen gehört eben auch, dass von der Norm abweichende Konstellationen dennoch ein ganz normales, unaufgeregtes Leben Miteinander und füreinander führen können.
So wie wir:
Unsere Berufe: Lehrer und Krankenpfleger
Unser Wohnort: Ein kleiner Bauernhof in einem noch kleineren Dorf
Unsere Familienmitglieder: Marians 16 jähriger Sohn (verbringt den halben Monat bei uns – Wechselmodell), seine Fische und unsere zwei Hofkater und natürlich wir zwei
Unsere Hobbys: Landschaftspflege mit unseren Hofmitarbeitern (Ziegen, Schafe und Zwergrinder), Entspannung bei der Gartenarbeit (sofern nicht zu viel Unkraut wächst 😊), regemäßige Besuche unserer Familien, Reisen, Freunde treffen, Kino- und Theaterbesuche und vor allem Musik machen (Geige, Klavier, Oboe und Bassklarinette)
Wir sind Marian und Matthias, vor ein paar Jahren raus aus der Stadt und auf ein kleines Dorf in der Nähe von Weimar gezogen. Haben uns von Anfang an in die Dorfgemeinschaft aktiv integriert und nicht gewartet, dass es jemand mit uns tut. Neue Freunde gefunden, Vorbehalte in Luft aufgelöst, meistens läuft der Alltag rund und manchmal stellt er uns vor große Herausforderungen, manchmal zoffen wir uns, aber meistens vertragen wir uns, Marians Sohn erfreut uns „noch“, mit einer bisher äußerst harmlos verlaufenden Pubertät, genießt unsere Dreisamkeit, spielt mit uns neuerdings gerne Gesellschaftsspiele und schleppt vor allem regelmäßig seine Freunde mit auf unseren Hof, die sich mit Begeisterung entweder im großen Garten, im Stall bei den Hasen oder einfach nur ideenlos an ihren digitalen Endgeräten erfreuen. Unser Traum ist es, unseren Hof in Richtung Selbstversorgung weiterzuentwickeln.
Unser Fazit: In den letzten zehn Jahren hat sich enorm viel positiv für die Gleichberechtigung von Minderheiten vielfältiger Art getan (Ehe für alle,…) und dennoch kann man sich nicht nur auf die Rahmenbedingungen verlassen, sondern hat es selbst und aktiv in der Hand, wie „normal“ man mit seiner Persönlichkeit und seinem Leben wahrgenommen wird. Dann ist die Chance groß, dass Konstellationen schon bald vollkommen egal sind. Marian würde sich noch wünschen, dass Mütter durch Ämter und Gesetzgeber nicht grundsätzlich, aufgrund ihres Geschlechts (oder weshalb auch immer) als Elternteil mit mehr Rechten und Freifahrtscheinen ausgestattet werden.
Unser Mottos: „Land – Liebe – Leben“ und „Wir leben auf dem Dorf und sind stolz darauf!
Wir fordern Kinderwunschbehandlungen für queere Paare in Sachsen. Bisher werden hier nur heterosexuelle Paare in Kinderwunschkliniken unterstützt. Wir mussten nach Berlin fahren. Diese Diskriminierung von queeren Paaren muss ein Ende haben.
Wir sind Maria, Isa und Theo. Ich (Isa) und Maria haben uns Anfang 2017 über eine App kennengelernt und es hat sofort super gepasst. 2019 haben wir beschlossen eine Familie zu gründen und uns für eine dänische Samenbank entschieden und im Sommer 2020 kam unser kleiner Theo zur Welt. Kurz vor seiner Geburt haben wir noch relativ spontan geheiratet, natürlich in erster Linie, weil wir uns lieben aber auch zu einem nicht unerheblichen Teil, weil Maria sonst gar keine Rechte an unserem gemeinsamen Kind hätte. So hat sie nun das “kleine Sorgerecht”.
Im Sommer, wenn wir dann endlich vier Jahre zusammenwohnen, könnte Maria Theo adoptieren. Wir hoffen aber immer noch sehr darauf, dass die Bundesregierung bis dahin ein neues Abstammungsrecht auf den Weg bringt, damit wir Maria einfach als zweite Mutter in die Geburtsurkunde eintragen lassen können und uns den ewig langen Prozess der Stiefkindadoption sparen können.
Bis auf diesen Punkt haben wir bis jetzt keine Diskriminierungen erlebt. Wir wohnen auf dem Dorf und werden wie jede andere Familie auch gesehen und behandelt. Die schönste Anekdote gab es letztens erst vor der Kita, als ein Mädchen aus Theos Kindergartengruppe feststellte, dass Theo zwei Mamas hat und das war für sie so ein Highlight, dass sie es immer wieder ihrem Papa erzählt hat. Wir haben herzlich gelacht und der Papa auch.
Wir sind Nils, Cathy und Bine. Wir wohnen in Dresden und sind nicht weniger verrückt, spießig oder normal wie alle anderen. Bei uns wird viel gelacht und wir lesen alle drei sehr, sehr gern. Uns geht es uns gut. Wir sehen, dass sich in den vergangenen Jahren sehr viel in der Gesellschaft getan hat und unserer Wahrnehmung nach die Akzeptanz von Regenbogenfamilien gestiegen ist. Allerdings gibt es Einiges, das noch besser zu handlen wäre. Es sind kleine Dinge, die aber unter Umständen größeren Einfluss haben können.
Ein Beispiel: wenn auf der Schulhortkarte die Daten der Eltern mit „Telefon Mutter“ und „Telefon Vater“ abgefragt werden. Natürlich könnten wir das korrigieren, durchstreichen und „Mutter“ und „Mutter“ daraus machen. Warum aber sollten wir das tun, wenn es bedeuten kann, dass unser Kind ständig daran erinnert wird, dass seine Karte korrigiert werden musste, weil seine Familienkonstellation eine andere ist? Das ist einfach eine unglückliche Situation. Besser wäre es doch, einfach „Telefonnumer(n) der Familie“ o. Ä. hinzuschreiben und dann genügend Platz für die Angaben zu lassen. Das könnte man doch einfach mitdenken. Zum Beispiel gibt es bei unserem Kind in der Klasse mehrere Regenbogenfamilien, was natürlich toll ist, weil es die Kinder dann wirklich als Normalität erfahren. Aber spätestens dann müsste sowas wie mit der Hortkarte doch auffallen. Es gibt aber auch sehr positive Beispiele, die nicht immer etwas mit Gesetzen zu tun haben, sondern mit Respekt und Menschlichkeit.
Schön wäre es, wenn es mal ein paar mehr Kinderbücher gäbe, in denen nicht nur gleichgeschlechtliche Eltern vorkommen. Oder auch Schulbücher, wo es in der Abbildung von Familien divers zugeht. Wir haben vielleicht 20 Bücher zu dem Thema, vermutlich alle, die auf dem Markt sind. Darauf kommen dann hunderte bis tausende Bücher mit Mamas und Papas.
Was gesellschaftlich tatsächlich richtig schlecht läuft, ist die Akzeptanz gegenüber Transpersonen, die leider Respektlosigkeiten, Anfeindungen und Schmähungen ausgesetzt sind.
Grundsätzlich sollte sich Familienpolitik um die Belange von Familien kümmern, dabei hat es dem Gesetzgeber, den Ämtern und Behörden, Krankenkassen oder Versicherungen herzlich egal zu sein, welche Identität oder sexuelle Orientierung die sorgeberechtigten Personen haben. Wichtig ist doch, dass man füreinander einsteht und sich umeinander kümmert. Da wäre dann auch zu klären, ob man nicht am Abstammungsrecht und der unseligen Sache mit den Stiefkindadoptionen was ändern könnte.
Dass wir unser eigenes Kind stiefkindadoptieren mussten, samt dem ganzen Gerichtsprozess der mehrere Monate dauerte. Alle Personen hier in Dresden in diesem Verfahren waren zwar nett, aber wir wissen, dass es in Jugendamt und Gericht auch krasse Diskriminierungen geben kann. Denen wären wir dann hilflos ausgesetzt gewesen. Gerade bei einem Neugeborenen will man es einfach nur beschützen und erlebt dann Kontrollverlust und Unsicherheit. Es sind Kleinigkeiten. Meine Frau war zeitweilig als Vater in der Geburtsurkunde vermerkt; das wurde dann korrigiert. Die nette Mitarbeiterin im Einwohnermeldeamt hat sich dafür entschuldigt, dass das PC-Programm darauf noch gar nicht umgestellt war. Zum Glück konnte sie es händisch eingeben. Bis dahin mussten Vorsorgevollmachten schreiben und dergleichen.
Und vorher war noch der Punkt, dass wir keine Kinderwunschklinik in Sachsen gefunden hatten, um unseren Kinderwunsch zu erfüllen, sondern nach Berlin fahren mussten. Wären wir ein heterosexuelles Ehepaar, hätte uns die Krankenkasse unterstützt, so bezahlten wir alles selber, obwohl es eine medizinische Diagnose gab, abseits der Paarkonstellation. Das kann doch nicht richtig sein. Seitdem unser Kind nun größer ist, gab es aber keine Diskriminierung sondern ganz normaler langweiliger Alltag, wo andere Dinge eine größere Rolle spielen.
Das hier ist die Geschichte von Hannah, Lisa, Tilda, Bahar und Notker:
Hannah (37), Tildas Mutter:
Wir überlegen uns gut, wo wir als Familie leben wollen und wohin es in den Urlaub geht. Nicht so sehr wegen uns, aber aus Sorge über die Reaktionen, die unser Kind womöglich abbekommt.
Meine Familie ist so, wie ich sie möchte.
Die Gesetze haben uns zur Ehe gezwungen. Ohne verheiratet zu sein, hätten wir nicht beide rechtliche Eltern unseres Kindes werden dürfen.
Ich habe meinem Großvater erzählt, dass wir ein Kind bekommen, aber ich nicht schwanger bin. Er meinte, ich solle ihm Bescheid sagen, wenn ich Vater geworden bin. Irgendwie habe ich mich darin gesehen gefühlt.
Ich bin sehr froh, dass Tilda nicht das einzige Regenbogenkind in ihrer Kita ist.
Lisa (33), Tildas Mutter:
Von uns wird ständig gefordert, uns an die Normen der heterosexuellen Kleinfamilie anzupassen. Das ärgert mich, denn es sollte eher umgekehrt sein: Die meisten heterosexuellen Kleinfamilien könnten von Regenbogenfamilien eine Menge lernen!
Ich habe während der Geburt meines Kindes mein Testament geschrieben. Es war wichtig, das zu tun, bevor unser Kind da ist. Denn mein Testament war bis zum Abschluss der Stiefkindadoption unsere einzige Möglichkeit sicherzustellen, dass Tilda bei ihrer anderen Mama bleiben kann, falls mir etwas passiert.
Bahar (37), Tildas Mitbewohnerin:
Nur wenige Leute verstehen meine Verbindung zu Tilda, der Rest sieht darin nur ein beiläufiges Interesse an dem Kind einer Freundin.
Ich wollte nie Elternteil sein, hasste es, ein Kind zur Welt zu bringen, aber liebte es, mit Kindern zusammen zu sein, sie kennenzulernen und sich in ihr Leben einzumischen. Voilà! Ich habe meine Lösung!
Notker (37), Tildas 3. Elternteil:
Meine Beziehung zu unserem Kind kommt nicht von einer Samenzelle, sondern von vielen gemeinsamen Wochenenden.
Tilda (4):
Ich habe drei Mamas. Hannah räumt die Wäsche auf, Lisa kocht und Bahar geht mit mir spazieren.