Sehr geehrte Conny Kahle,
wir, die Landesarbeitsgemeinschaft Queeres Netzwerk Sachsen, möchten gerne Bezug nehmen auf Ihren Artikel „CSD: Unsere Liebe ist kein Kampf und nicht politisch”, zu lesen auf Ihrer Website „Görlitz Insider”.
Betroffen stellen wir fest, dass Sie sich nicht nur vom Christopher Street Day in Görlitz distanzieren, sondern diesen gar verspotten und ihn als „politisch aufgeladenen Scheiß” ablehnen.
Selbstverständlich erkennen wir – auch innerhalb der queeren Communities – unterschiedliche Meinungen und politische Standpunkte an. Niemand wird dazu genötigt, an CSDs teilzunehmen oder diese
affirmativ zu bewerten. CSDs können und sollen konstruktiv kritisiert werden. Was wir jedoch nicht akzeptieren, sind Pamphlete, in denen Hetze und Aufrufe zur Entsolidarisierung geteilt werden –
und das aus den eigenen Reihen.
Innerhalb Ihrer Ausführungen spalten Sie die lsbtiq* Community in das Lager der „normalen” Hetero- und Homosexuellen und das Lager der vermeintlich Andersartigen: „[...] alles, was mit dem
Regenbogen wackelt, politisch motiviert ist und ständig gegen
rääächtz ist, hat NICHTS, aber auch wirklich GAR NICHTS mit den normalen Schwulen und Lesben der Stadt und der Region zu tun.” Damit wird eine fiktive Grenze konstruiert, um willkürlich
Normalität und Anormalität zu definieren und um sich sodann selbst zum
Sprachrohr der „normalen Homosexuellen” zu stilisieren. Heruntergebrochen ist dies eine (De-)Legitimierung, Hierarchisierung und Bewertung queerer Identitäten und sorgt für Polarisierung: Wir
gegen die Anderen; wir gegen die lauten, sichtbaren, politischen,
sonderbaren Queers. Solche Aussagen sind queerfeindlich und unsolidarisch.
Es ist absolut notwendig, dass sich verschiedenste gesellschaftliche Strömungen und politische Kräfte für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt einsetzen und für gemeinsame Ziele demonstrieren.
Der Christopher Street Day ist eines der wenigen Ereignisse, an denen lesbische, schwule, bisexuelle, transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und queere* Menschen eigenmächtig und dezidiert
auf ihre (mitunter prekären) Lebensrealitäten aufmerksam machen und zugleich ihre Lebensweisen und Identitäten stolz feiern. Den CSD zu boykottieren, weil er zu queer, zu bunt, zu vielfältig, zu
laut, zu sehr „gegen rääächtz” und politisch aufgeladen sei, bestürzt uns.
Der CSD war schon immer queer, schon immer politisch und vor allem schon immer eines: Ein Kampf. Er hat seinen Ursprung in den Stonewall-Aufständen, in denen sich lsbtiq* Personen gegen staatliche Repression und Polizeigewalt wehrten. Die gesellschaftliche Unterdrückung von Lebensweisen sorgt dafür, dass die Frage danach, wie wir unser Leben gestalten wollen, eben nicht allein im vorgeblich privaten Bereich ausgehandelt wird: Liebe, Sexualität, Geschlecht und Identität werden öffentlich verhandelt (siehe z.B. die Debatte um Art. 3 des Grundgesetzes und die Ergänzung um die sexuelle Identität). Forderungen nach Toleranz, Akzeptanz, rechtlicher und gesellschaftlicher Gleichberechtigung von lsbtiq* Personen sind damit immanent politische Anliegen. Ein CSD kann daher nicht unpolitisch sein.
Wenn sich zahlreiche Menschen zusammenfinden, um gegen Diskriminierung auf die Straße zu gehen, hat das vorrangig nichts mit „links sein” zu tun, sondern vor allem mit einem: Solidarität. Und genau dazu möchten wir aufrufen. Die CSD-Paraden sind auf Unterstützung und sichtbare Solidarisierung angewiesen, insbesondere dann, wenn sie wie in Sachsen regelmäßig von Neonazis unterlaufen werden. Spaltung und Abwertung schaden uns allen, wir müssen geschlossen für Akzeptanz und Vielfalt einstehen!