1 Jahr verschärfter Gendererlass in Sachsen – Kultusministerium sieht trotz vielfältiger Kritik
keinen Grund zur Rücknahme der Vorgaben
Im Sommer 2023 hat das Sächsische Staatsministerium für Kultus (SMK) in einem an alle
Mitarbeiter*innen im SMK und im Landesamt für Schule und Bildung (LaSuB) gerichteten
Erlass mit dem Titel "Geschlechtergerechte Sprache und Schreibung im
Verwaltungsbereich und in den Schulen“ einen früheren Erlass von 2021 verschärft.
Vorgeschrieben wird in dem neuen Erlass, dass sowohl in der eigenen Kommunikation als
auch in der Kommunikation durch Dritte im Schulsystem nur noch ohne Sonderzeichen
wie Asterisk, Doppelpunkt und Unterstrich sowie ohne Binnen-I gegendert werden dürfe.
In Verträge und Zuwendungsbescheide solle zukünftig eine entsprechende Klausel als
Auflage aufgenommen werden. Begründet wird dieses Vorgehen damit, dass
„schulbezogene Texte des Zuwendungsempfängers/Vertragspartners nicht in Widerspruch
zur Amtlichen Regelung der deutschen Rechtschreibung geraten und somit zu
Verunsicherung in der Schülerschaft führen“ sollen.
Nach Bekanntwerden dieser Vorgaben haben verschiedene Fachverbände und
Interessengruppen kritische Stellungnahmen dazu veröffentlicht, u.a. die LAG
Schulsozialarbeit, die LAG Queeres Netzwerk Sachsen, der Kinderschutzbund LV
Sachsen, die AGs LSBTI* und Gleichstellung der GEW Sachsen, die Konferenz
Sächsischer Studierendenschaften, die Chemnitzer Kooperationsgemeinschaft für
Sexualpädagogik und weitere Arbeitskreise aus Chemnitz, der Ausländerrat Dresden und
die Queerpride Dresden. Zum ersten Erlass von 2021 gab es ebenfalls eine Vielzahl von
Reaktionen, u.a. im Januar 2022 von nadis – Netzwerk für eine Antidiskriminierungskultur
in Sachsen.
Seit Herbst 2023 treffen sich Lehrkräfte, externe Träger der politischen Bildung bzw.
Demokratiebildung, Hochschullehrkräfte, Schüler*innen, Schulsozialarbeiter*innen und
weitere an der Schule tätige Personen regelmäßig zum Austausch über die durch den
Erlass verursachte Situation. Anfang 2024 wurde aus diesem Kreis heraus eine anonyme
Online-Befragung durchgeführt. Auf Basis dieser Befragung haben sich 15 Vereine und
Institutionen im April 2024 mit einem Schreiben an Kultusminister Christian Piwarz, den
Amtschef des Kultusministeriums sowie den Präsidenten des LaSuB gewandt. Angezeigt
wird darin ein dringender Handlungs-, Präzisions- und Korrekturbedarf in Bezug auf Inhalt
und Umsetzung des Erlasses.
In dem Schreiben wird auf eine bedenkliche Verselbstständigung des Diskurses
hingewiesen, etwa wenn Schüler*innen ihre Lehrkräfte denunzieren, Lehrkräfte unsachlich
von Eltern zurechtgewiesen werden oder Förderanträge, in denen Sonderzeichen
verwendet werden, angezweifelt werden. Der Erlass wird teilweise herangezogen, um
Lehrkräfte anzuweisen, nur generische Formen statt eine geschlechtergerechte Sprache
zu verwenden. In manchen Fällen wird trans*, inter und nicht-binären Schüler*innen,
Lehrkräften und Angestellten die richtige Ansprache bzw. Repräsentation ihres
Geschlechts in Sprache und Schrift verwehrt. Dies ist vor dem Hintergrund des
Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit höchst bedenklich.
Als Reaktion auf dieses Schreiben haben die Absender*innen Anfang Juni 2024 eine
Antwort von Wilfried Kühner, dem Amtschef des Kultusministeriums, erhalten. Er berichtet
von „überwiegend positiven Rückmeldungen“, die das Ministerium von Seiten der
Schulleitungen zur Umsetzung der Regelungen zur geschlechtergerechten Schreibung im
Schulbereich erreicht habe. Daher werde die Entscheidung als zielführend angesehen und
kein Änderungsbedarf erkannt. Auf die von immerhin 15 Vereinen und zahlreichen
Einzelpersonen aus dem schulischen Kontext beobachteten negativen Effekte der Erlasse,
die wir in unserer kritischen Stellungnahme angeführt haben, wird im Antwortschreiben
aus dem SMK nicht eingegangen.
Im Gegensatz dazu hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Mai 2024 in einem
Kurzgutachten auf erhebliche verfassungsrechtliche Risiken bei restriktiven
Sprachregelungen an Schulen, Hochschulen, in öffentlich-rechtlichen Medien und der
Verwaltung hingewiesen und explizit vor „Genderverboten“ in diesen Institutionen gewarnt.
Verbote einer geschlechtergerechten Schreibweise könnten betroffene Lehrkräfte und
Schüler*innen in ihrer Meinungsfreiheit des Artikel 5 I 1 GG sowie in ihrer allgemeinen
Handlungsfreiheit des Artikel 2 I GG verletzen und sie gegebenenfalls selbst
diskriminieren. Geschlechtliche Vielfalt abzubilden und Selbstbezeichnungen der
Schüler*innen zu respektieren, seien zudem wichtige Bestandteile von Demokratie- und
Menschenrechtsbildung an Schulen. Auch die pädagogische Freiheit der Lehrkräfte
könnte unzulässig eingeschränkt werden.
Ganz in diesem Sinne fordert auch der LandesSchülerRat Sachsen im Juni 2024 in
seinem Positionspapier zur Landtagswahl im Abschnitt zur Queeren Bildung an Schulen,
das „Verbot der Gendersprache durch eingeschobene Sonderzeichen“ zu revidieren.
Queere und politische Bildung generell müsse als Querschnittsthema in den Lehrplänen
viel stärker verankert werden.
Dieser Kritik und diesen Forderungen können sich die Unterzeichnenden hier nur
anschließen. Wir fordern zudem: Queere Bildung muss in den kommenden
Koalitionsvertrag aufgenommen werden!
LAG Queeres Netzwerk Sachsen e.V.
Netzwerk Tolerantes Sachsen
LAG Schulsozialarbeit Sachsen e.V.
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Landesverband Sachsen
Antidiskriminierungsbüro Sachsen e.V.
Genderkompetenzzentrum Sachsen
Gerede e.V. Verein für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt
Frauen*bildungszentrum (FrauenBildungsHaus Dresden e.V.)
Der Kinderschutzbund Landesverband Sachsen e.V.